Institut für Mathematik
Lehrstuhl für Didaktik der Mathematik

   

Aus dem Briefwechsel von Friedrich Prym
Briefwechsel mit Otto Staude

Brill Dorn Lindemann Noether Staude Sturm Voss
1 1   2 1   2   3 1   2 1   2   3   4   5 1   2   3   4   5   6   7   8 1   2   3   4  5   6   7

Quelle
Transkript

Brief von Otto Staude: 13. Februar 1891


Rostock, am 13. Febr. 1891
St. Georgstr. 38

Hochgeehrter Herr College!

Da die Rückantwort auf einen Brief nach Dorpat wenigstens 8 Tage auf sich warten lässt, theile ich Ihnen einstweilen mit, dass ich versucht habe, Nachrichten herbeizuschaffen, welche von den fast durchgehend – politisch und persönlich beeinflussten Dorpater Verhältnissen unabhängig sind.

Herr College Kneser, den Sie noch erwähnen, war zuerst in Marburg, dann in Breslau Privatdocent und wurde Herbst 1888 mein Nachfolger in Dorpat für die Professur der „angewandten Mathematik“. Er war zuerst Extraordinarius und wurde vor Kurzem, was dort angeht, in derselben Professur Ordinarius. Sein Gehalt ist dasselbe wie bei Schur und allen Dorpater Ordinarien bis zum 25. Dienstjahr. Das Collegiengeld seiner Professur beträgt weniger als das der anderen mathematischen Professur, weil sie weniger allgemeine Examensfächer vertritt. Auch über seine eventuelle Bereitwilligkeit eine Professur von 4200 Mark Gehalt anzunehmen, ist dasselbe zu sagen wie bei Schur. Ich selbst habe der politischen Verhältnisse wegen das Gehalt von 2400 Rubel mit dem geringeren von 4500 Mark hier vertauscht und glaube, dass alle dortigen Reichsdeutschen dies thun würden. Nach Dorpat wurde uns Kneser ebenfalls - besonders von Berlin aus-, von Prof. Weierstrass und Kronecker empfohlen, aber auch von Prof. Schröter in Breslau und Klein in Göttingen. Wie er sich in die Lehrthätigkeit in Dorpat hineingefunden hat, kann ich Ihnen vielleicht das nächste mal schreiben, wenn ich darüber Bericht erhalte. In Marburg und Breslau soll er gute Erfolge gehabt haben. Er ist wohl besonders algebraisch in der Kronecker'schen Richtung geschult und kam zur „angewandten Mathematik“ nach Dorpat, genau ebenso wie ich selbst 2 1/2 Jahre früher, dadurch dass er in Breslau so gut wie officiell analytische Mechanik lesen musste. Diese Vorlesung giebt der Kneser'sehen Professur in Dorpat ihren Namen. Ich kenne Kneser, wenn auch nicht aus dauerndem Umgänge, persönlich und habe ihn immer als angenehmen Charakter gefunden. Er ist übrigens, wenn Sie darüber an die höheren Instanzen berichten müssen, wie auch Schur, evangelischer Confession.

Alles dies, sowie meinen letzten Brief, bin ich gern bereit Ihnen zum Gebrauche für Ihre Collegen zu überlassen, wenn Sie das Material, was ich geben konnte, nicht für zu unbedeutend halten.

Schur kenne ich schon aus der Zeit, als ich mit Dyck, Krazer u.s.w. in Leipzig studirte. Ich habe danach selbst seine Berufung nach Dorpat (Ende 1887 bis Anfang 1888) befürwortet. Indessen hat sich Schur in Dorpat, auch von den daselbst allgemein schwierigen Verhältnissen abgesehen, nicht mit allen seinen Collegen in der Facultät gut zu stellen verstanden. Ich selbst möchte nach meiner damaligen Erfahrung nicht die Verantwortung übernehmen, ihn in collegialer Beziehung zu empfehlen. Ich habe dieses Urtheil und seine Begründung ausser gegen Dorpater Facultätsgenossen, mit denen ich darüber zu sprechen Veranlassung hatte, noch gegen niemanden erwähnt, möchte diesen Punct auch Ihnen im Vertrauen zur Verfügung stellen, halte dies aber nach der vertraulichen Form Ihrer Anfrage auch für meine Pflicht. Mein Urtheil wird ja nicht allein massgebend sein; vielleicht mögen andere anders urtheilen; vielleicht würden Sie auch in Würzburg mit Schur bessere Erfahrungen machen. Ich kann nur nach meinen Erfahrungen urtheilen.

Über den Erfolg meiner Erkundigungen über die Lehrerfolge von Schur und Kneser hoffe ich Ihnen noch Bericht geben zu können.

Mit verbindlichstem Grusse

Ihr hochachtungsvoll ergebener

Staude


[Fakultät] [Institut für Mathematik

Verantwortlich:  Prof. Dr. Hans-Joachim Vollrath, Universität Würzburg
 e-mail: vollrath@mathematik.uni-wuerzburg.de