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Brief von Rudolf Dorn an
Friedrich Prym: 9. Februar 1891
München,
den 9.
Febr. 1891
Hochverehrter
Herr Professor!
Auf
Ihr wertes Schreiben vom 8. Febr., das heute in meine Hände
kam, beeile ich
mich, Ihnen folgendes mitzuteilen, indem ich Ihnen zugleich herzlich
danke für
das mir bewiesene Vertrauen.
Zunächst
muß ich Ihnen leider bemerken, daß mein Urteil sich
nur teilweise auf
persönliche Erfahrungen gründet, da ich nur je 1
Kolleg bei Herrn Prof. Voss
& Herrn Prof. Dyck besucht habe.
(Die
meisten Vorlesungen hörte ich nämlich an der
Universität und hier wiederum die
Mehrzahl - 10 verschiedene - bei H[errn]
Prof.
G. Bauer.) Doch stimmen meine Erfahrungen und das darnach gebildete
Urteil,
vollkommen überein mit denen meiner Kameraden, und
dürften demnach, wenn auch
sehr lückenhaft, doch nicht völlig unrichtig sein: Wir
alle geben Herrn Prof.
Voss den Vorzug, wenn auch nicht ganz unbedingt.
Herr
Prof. Dyck, wie Ihnen ohne Zweifel bekannt, ein noch ziemlich junger
Mann,
besitzt ein helles, klares Organ; seine Sprache ist sehr deutlich,
besitzt
dabei aber einen eigentümlichen, so zu sagen
„tröstenden“ Tonfall, der jedoch
keineswegs unangenehm auffällt. Er redet nicht zu rasch, so
daß man bequem
nachschreiben kann, bes. da er zum besseren Verständnis manche
Sätze in einer
etwas populäreren Fassung wiederholt. Durch
zweckmäßig eingeschaltete Beispiele
sucht er das Gehörte besser dem Gedächtnis
einzuprägen und durch passende
Zeichnungen der Anschauung zu Hilfe zu kommen. Der
Stoff ist gut geordnet, aber nicht besonders original; schwierigere
Partien,
die ohne Schädigung des Ganzen vorläufig
unberücksichtigt bleiben können, die
aber vielleicht den Schüler
Anfänger zurückschrecken
würden (– ein Malheur, das Hn. Prof.
Voss einigemale passiert ist –), übergeht
er gewöhnlich. Die Anfänger gehen
daher lieber zuerst zu Prof. Dyck.
In
den „Übungen“ dürfte er sich
allerdings seiner Schüler etwas mehr annehmen, wie
ich schon von verschiedenen Seiten zu hören bekam; doch liegt
die Schuld nicht
an ihm allein: Die meisten, welche am Polytechnikum höh. Math.
I & II Teil
hören und die Übungen mitmachen, sind keine
Mathematikstudierenden, sondern aus
allen Fächern zusammengewürfelt; diese
bringen gewöhnlich nicht das richtige
Verständnis und meistens auch nicht das richtige Interesse der
Sache entgegen,
so daß der Lehrer leicht in die Versuchung kommt, auch
seinerseits die Sache
lässig zu treiben; auch ist die Anzahl der Teilnehmer viel zu
groß für einen
Lehrer ohne Assistenten. (Prof. Voss hingegen besitzt einen solchen.)
Im
Seminar hingegen giebt sich Prof. Dyck sehr viel Mühe mit den
Teilnehmenden; er
weiß recht interessante Themata zu finden, teilweise sehr
umfassende, so daß
für den vortragenden Schüler 4 Wochen und mehr
Vorbereitung notwendig sind; die
aufgewandte Mühe erkennt er gerne an.
Auch
außerhalb des Studiums kommt er viel mit seinen Studenten
zusammen; als
Philister des akademischen „Mathemat.-Vereins“
beehrt er letzteren öfters mit
seiner Gegenwart, wo dann seine jugendliche Lebhaftigkeit und
Freundlichkeit
uns manchmal glauben macht, einen älteren Kameraden vor uns zu
haben.
Die
Kollegien des Herrn Prof. Voss endlich sind, was Vortrag und Inhalt
anbetrifft,
geradezu musterhaft. Man könnte seine Vorträge, wie
wir sie niederschreiben,
geradezu drucken lassen, und in diesem Buche würde man manches
finden, was man
sonstwo kaum nachlesen kann; aber ob
dies Buch sich zum Selbststudium
eignen
würde, möchte ich nicht in allen Fällen
bejahen.
Er
besitzt ebenfalls ein helles Organ und deutliche Aussprache; einige
Kleinigkeiten, wie die uns ungewohnte westphälische Aussprache
von sp & st
fallen bald nicht mehr auf. Seine Vorlesungen erfordern zum mindesten
ununterbrochene Aufmerksamkeit, die sich übrigens bei dem
fesselnden Vortrag
von selbst einstellt. Man muß nebenbei auch gut
stenographieren können, um
mitzukommen, da, wie gesagt, Professor Voss
überflüssige Worte und
Wiederholungen selten vorbringt.
Mit Lust geht man in seine
Vorlesungen, ist
aber am Schluß derselben auch froh, daß sie
vorüber sind.
Die
Übungen, die er abhält, sind besser als die von Prof.
Dyck; seine Seminarübungen
halten denen von Prof. Dyck die Wage. – Dem Verkehr mit
seinen Studenten
außerhalb des Kollegs ist er nicht so zugänglich,
wie der Letztere.
In
der Hoffnung, daß dieser Brief Sie bei so guter Gesundheit
trifft, wie er mich
verläßt, verbleibe ich
Ihr
dankbarer Schüler
Rud
Dorn. |