Otto Volk

Otto Theodor Volk wurde am 13. Juli 1892 als fünftes von 13 Kindern des Lehrers Josef Volk und seiner Ehefrau Albertine, geb. Bundschu, in Neuhausen auf den Fildern südöstlich von Stuttgart geboren. 
Werdegang
Schon während der Volksschulzeit erhielt Otto Volk beim katholischen Pfarrer in Neuhausen zusammen mit Gleichaltrigen jeden Nachmittag, auch sonntags, Privatunterricht in Latein, dann in Französisch und später in Griechisch.
Von 1903 bis 1906 besuchte er die Lateinschule in Rottenburg am Neckar, von 1906 bis 1910 dann das Gymnasium in Ehingen an der Donau, das er 1910 mit der Konkursprüfung (Abitur) abschloss. Von 1910 bis 1914 studierte Otto Volk als Angehöriger des Wilhelmsstifts katholische Theologie, Philosophie und Mathematik an der Universität Tübingen. 1914 legte er das Theologische Staatsexamen ab und wurde 1915 ordiniert.
Sein Interesse an der Mathematik war jedoch so stark, dass er beschloss, in Tübingen und München weiter Mathematik zu studieren. Sein Studium schloss er 1917 mit der 1. Dienstprüfung für das höhere Lehramt ab.
Anschließend ging er in den höheren Schuldienst in Schwäbisch Gmünd und Feuerbach und legte 1918 die 2. Dienstprüfung für das höhere Lehramt ab.
Zugleich arbeitete er an seiner Dissertation „Studien über einige Randwertaufgaben der Potentialtheorie“, die von Liebmann angeregt worden war. 1918 wurde er zum Dr.-Ing. an der Technischen Hochschule München promoviert.
1919 folgte er einer Einladung von Lindemann nach München an die Universität und wurde Assistent von Lindemann, Pringsheim und Voss. Volk wohnte bei Lindemanns und hatte neben seinen wissenschaftlichen Verpflichtungen noch manche häuslichen Pflichten zu übernehmen. Lindemann machte ihm klar, dass der erworbene Grad eines Dr.-Ing. für eine wissenschaftliche Karriere in Mathematik an einer Universität nicht ausreichte. So schrieb Otto Volk noch eine weitere Dissertation. Von Lindemann erhielt er das Thema: „Entwicklung der Funktionen einer komplexen Variablen nach den Funktionen des elliptischen Zylinders“. 1920 wurde er an der Universität München zum Dr. phil. promoviert.
Mit der Entwicklung von Funktionen einer komplexen Variablen befasst sich auch seine Habilitationsschrift. Er habilitierte sich 1922 an der Universität München und erhielt noch im gleichen Jahr einen Ruf an die neu gegründete Universität Kaunas in Litauen.

Professor in Kaunas
Otto Volk nahm den Ruf an und war von 1923 bis 1930 in Kaunas Ordinarius und Vorstand des Instituts für Mathematik und Astronomie, das er jedoch erst aufzubauen hatte. So richtete er dort eine mathematische Bibliothek neu ein, wobei es ihm gelang, die großen Bibliotheken von Carl Neumann und Aurel Voss aus den Nachlässen zu erwerben. Wenn auch die räumlichen Verhältnisse zunächst recht beengt waren, wurde doch sehr rasch für die Universität ein Neubau errichtet, in dem die Mathematik sehr großzügig bedacht wurde.
Zunächst konnte er Vorlesungen, Übungen und Seminare in deutscher Sprache abhalten; nach etwa drei Jahren konnte er eine Hauptvorlesung in litauischer Sprache halten. Auch erste Aufsätze von ihm erschienen bereits ab 1924 in litauischer Sprache. Bald folgten mathematische Lehrbücher in litauischer Sprache. Dabei wurde er unter der Anleitung seiner Schüler häufig zum Sprachschöpfer mathematischer Begriffe in der litauischen Sprache. 1925 erschien zunächst seine „Höhere Algebra“, 1929 folgten „Analytische Mechanik“ und „Vorlesungen über die Theorie der gewöhnlichen und partiellen Differentialgleichungen“.
Otto Volk widmete sich seinen Aufgaben mit großem Engagement. So gehörten die Jahre in Kaunas, wie er selbst sagte, zu den schönsten seines Lebens.
Er hatte die Genugtuung, dass eine Reihe seiner Schüler im Ausland promovierten und dann später Dozenten an der Universität Kaunas werden konnten. Die litauischen Mathematiker würdigen noch heute seine Leistungen für die Mathematik in ihrem Lande.

Professor in Würzburg
Gegen Ende der zwanziger Jahre wurden die politischen Verhältnisse unter sowjetischem Druck in Litauen schwierig. So nahm er 1930 einen Ruf nach Würzburg auf das 1929 durch den Tod von Emil Hilb frei gewordene Extraordinariat an. 1932 wurde er persönlicher Ordinarius und 1935 Nachfolger von Eduard von Weber. Nach der Emeritierung von Georg Rost übernahm er auch die Astronomie. So war er ab 1937 Direktor des Mathematischen Seminars und Leiter des Astronomischen Instituts und der Sternwarte der Universität Würzburg. Würzburg hatte neben der bereits 1757 errichteten ,,Alten Sternwarte" auf dem Turm der Neubaukirche noch die 1927/28 unter Georg Rost erbaute und gut ausgestattete „Neue Sternwarte“ auf dem Westflügel der Neuen Universität. Otto Volk interessierte sich besonders für kleine Planeten und Kometen, die er in den folgenden Jahren systematisch beobachtete. Parallel dazu befasste er sich mit Fragen der Himmelsmechanik.
Als 1937 die Naturwissenschaftliche Fakultät gegründet wurde, wurde er ihr erster Dekan. Während des Krieges verlief der Betrieb am Mathematischen Seminar zunächst vergleichsweise normal. Otto Volk konnte sogar Drittmittel für ein Forschungsprojekt erhalten, mit dem er versuchte, Mitarbeiter vom Kriegsdienst freigestellt zu bekommen.
Bei der Bombardierung Würzburgs am 16. März 1945 aber wurden alle Einrichtungen der Mathematik und Astronomie zerstört. Auch Otto Volks Wohnhaus wurde vernichtet, dabei verlor er auch seine reichhaltige Bibliothek und wertvolle Kunstgegenstände.

Nachkriegszeit
Da sich Otto Volk während der Herrschaft der Nationalsozialisten Organisationen dieser Partei angeschlossen hatte, wurde er wie die meisten seiner Kollegen 1945 von der Militärregierung seines Amtes enthoben. Da er sich sogleich bei den Aufräumungsarbeiten an der Universität einsetzte, hoffte er auf eine baldige Wiedereinsetzung. Diese verzögerte sich allerdings auf Grund von mancherlei Widerständen.
Von 1947 bis 1948 wurde er Mitarbeiter und stellvertretender Institutsleiter am Mathematischen Forschungsinstitut in Oberwolfach.
1949 wurde er schließlich wieder zum ordentlichen Professor an der Universität Würzburg ernannt, allerdings gleichzeitig aus gesundheitlichen Gründen pensioniert.
Er übernahm dann Lehraufträge am Ohm-Polytechnikum in Nürnberg und an der Universität Köln.
1959 erreichte er gerichtlich die Emeritierung und erhielt damit das Recht, wieder Vorlesungen in Würzburg anzubieten.

Emeritus der Universität Würzburg
Bis zum Sommersemester 1988 las er über Themen aus der Himmelsmechanik und der Geschichte der Mathematik. Als Fakultätsbeauftragter für praktische Astronomie bemühte er sich, in Würzburg wieder astronomische Beobachtungen zu ermöglichen. Das geschah zuerst mit transportablen kleineren Instrumenten im Freien. 1961 wurde unter seiner Leitung eine Notsternwarte auf der Kanzel des Balthasar-Neumann-Hauses errichtet. Aber schon bald begannen unter seiner Initiative die mühevollen Vorarbeiten und Planungen für die „Sternwarte auf der Keesburg“. Nach zweijährigem Bau wurde 1966 die Sternwarte an der Johannes-Kepler-Straße eingeweiht. Volk gilt jetzt in Würzburg als „Vater der Sternwarte“. Über seine Unternehmungen wurde häufig in der „Main-Post“ berichtet. So ist er in Würzburg prominent geworden.
Otto Volk hatte sich auch um die Einrichtung eines Lehrstuhls für Astronomie bemüht, der dann für das Haushaltsjahr 1965 an der Naturwissenschaftlichen Fakultät geschaffen wurde. Von 1965 bis 1967 wurde er mit der kommissarischen Wahrnehmung beauftragt, bis dann Hans Haffner (1912-1977) berufen wurde.
Die Zeit nach seiner Emeritierung war also erfüllt von vielseitigen Unternehmungen, die er durchweg mit großer Energie, Unternehmungslust und Beharrlichkeit betrieb. Noch 1969 erhielt er einen Ruf nach Izmir (Türkei), den er jedoch ablehnte. In den letzten Jahren wurde er durch seine nachlassende Sehkraft immer abhängiger von Hilfskräften. Doch stets hatte er eine Schar von Studenten um sich, bei denen er Resonanz fand und die ihm zur Hand gingen. 
Die 400-Jahr-Feier der Universität im Jahr 1982 war für Otto Volk ein Höhepunkt. Er verfasste für die Festschrift einen Beitrag über die Geschichte der Mathematik, Astronomie und Physik in Würzburg und hielt anlässlich seines 90. Geburtstages eine „Vorlesung für Hörer aller Fakultäten“ über das Thema „Die Kunst des Rechnens: ars ratiocinandi“. In dieser Vorlesung bekannte er: „Ich liebte das Rechnen, und ich liebe es noch jeden Tag.“ Tatsächlich beeindruckte er seine Umgebung damit, dass er sich bis zu seinem Ende mit mathematischen Berechnungen beschäftigte. Nach einigen Stürzen in seinem Haus wurde er Ende 1988 pflegebedürftig. Er wurde liebevoll versorgt und starb am 21. März 1989. Auf dem Waldfriedhof fand er seine letzte Ruhe. Auf seinem Grabstein, den er noch zu Lebzeiten nach seinen Vorstellungen gestalten ließ, sind Planetenbahnen mit der Sonne im Brennpunkt abgebildet. Darüber ist der Spruch eingemeißelt: „Ad astra et in coelos“. Den Trauergottesdienst hielt sein Freund Eugen Biser aus München. Ein Requiem in lateinischer Sprache wurde von den Benediktinern in Würzburg zelebriert. Das Mathematische Institut ehrte ihn mit einem Gedenkkolloquium am 14. Juli 1989.

Würdigung
Für Otto Volk bildeten Mathematik und Astronomie die Mitte seines Denkens und Schaffens. Aber immer sah er auch den Menschen. Wenn er über Mathematik und Astronomie vortrug, dann würdigte er die Wissenschaftler, denen diese Erkenntnis zu verdanken war. Seine Studenten begeisterte er für diese Wissenschaften und weckte zugleich Hochachtung vor den großen Leistungen dieser Forscher. Er interessierte die Öffentlichkeit für Mathematik und Astronomie durch seine Projekte, aber auch durch zahlreiche Zeitungsartikel, wobei er gern Geburtstage bedeutender Mathematiker und Astronomen zum Anlass nahm.
Viele seiner Kollegen wurden zu Freunden. Auch seine Schüler blieben ihm treu verbunden. An ihrem Ergehen nahm er lebhaften Anteil. Zu seinen Freunden gehörten auch Kollegen anderer Fakultäten, Wissenschaftler aus anderen Hochschulen und Künstler.
Als tief religiöser Mensch erfreute er sich vor allem an Bildern mit biblischen Motiven. Besonders wertvoll waren ihm die „Emmausjünger“ seines Freundes Karl Caspar. Bis ins hohe Alter spielte er gern auf seinem Harmonium aus dem „Graduale Romanum“.
Er war ein begeisterter Wanderer und ausdauernder Radfahrer. So fuhr er z.B. an einem Tag von Würzburg nach München, als Aurel Voss im Sterben lag. Er gehörte zu den ersten, die in Bad Hofgastein einen Skikurs ablegten.
Mathematische Kongresse besuchte er gern und verband sie häufig mit einer größeren Wanderung. Bis ins hohe Alter besuchte er regelmäßig Tagungen in Oberwolfach und trug dort vor. Aber auch den schönen Seiten des Lebens war er aufgeschlossen. Er genoss den Frankenwein und freute sich an einem guten Essen im Freundeskreis. Bis zu seinem Lebensende nahm er regen Anteil an den Geschehnissen in der Fakultät. Er sorgte dafür, dass manch ein Projekt, das an bürokratischen Hürden zu scheitern drohte, dank seiner großzügigen finanziellen Hilfe realisiert werden konnte. So erwies er sich immer wieder als Wohltäter der Universität. Er stiftete wertvolle Bücher für die Bibliothek. Die Krönung war die Errichtung der Otto-Volk-Stiftung der Fakultät für Mathematik im Jahre 1983. Dabei waren ihm die großzügigen Stiftungen von Friedrich Prym ein Vorbild. Aus den Erträgen der Stiftung sollen Mathematik, Himmelsmechanik und Geschichte der Mathematik und Astronomie gefördert werden. Er setzte seine Stiftung auch als Alleinerbin ein.
1987 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Im Mathematischen Institut ist ein Gedenkzimmer für Otto Volk nach seinen Wünschen eingerichtet. Der Raum ist mit Möbeln aus seinem Nachlass ausgestattet. Hier finden sich sein alter Schreibtisch, ein Cembalo, eine große Standuhr, eine Büste von Lindemann, Bücherschränke und Bilder, inzwischen auch eine Sammlung historischer mathematischer Instrumente.
1990 ließ die Fakultät für Mathematik in kleiner Auflage Otto Volks „Gesammelte Abhandlungen“ erstellen. Von seinem Wirken zeugt auch eine Gedenktafel am Turm der Neubaukirche, die an die Universitätssternwarte und an die Würzburger Astronomen erinnert, die dort ihre Beobachtungen durchgeführt hatten.


Hans-Joachim Vollrath