Main-Post, 16.6.2006
Unmodern? Ab nach München!

Würzburg (rdf) Gegen Ende des 19. Jahrhunderts besaß die Philosophische Fakultät der Würzburger Universität eine beachtliche Sammlung mathematischer und naturwissenschaftlicher Instrumente. Die Instrumente sind nicht mehr in Würzburg vorhanden. Es wurde lange vermutet, dass sie 1945 ein Opfer der Bomben geworden seien.

Doch dann fand der emeritierte Mathematikprofessor Dr. Hans-Joachim Vollrath bei seinen Nachforschungen heraus, dass 1877 ein großer Teil der damals "unmodern" gewordenen Instrumente an das Bayerische Nationalmuseum in München verkauft worden ist.
Tatsächlich haben dort die meisten den Krieg überstanden. Bei einer Besichtigung der Bestände erregte ein Satz von sechs Messingstäben in einem Lederköcher das besondere Interesse des Mathematikers. Im Inventarverzeichnis werden sie als Meßstäbe bezeichnet. Diese 26,4 Zentimeter langen Dreikant-Stäbe befanden sich bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der Würzburger Lehrmittelsammlung.
In einem Inventarverzeichnis aus dem Jahr 1707, das sich in der Apostolischen Bibliothek des Vatikans befindet, werden sie als "Architektonische Stäbe" aufgeführt. Nachforschungen ergaben, dass es sich um eine Erfindung des berühmten Architekturtheoretikers Nikolaus Goldmann (1611-1665) handelt, der aus Breslau stammte und in Leiden wirkte. Er hatte 1662 ein Handbuch zu seinen "Baustäben" in lateinischer und deutscher Sprache unter dem Titel "Tractatus de Stylometris" ("Traktat über die Säulenmesser") herausgebracht.
Es war eine Überraschung, als ein Exemplar dieses Buches mit einem Vermerk der Philosophischen Fakultät in der Universitätsbibliothek gefunden wurde. Das Handbuch und die Instrumente gehörten also wohl ursprünglich zusammen. Beide sind sehr selten. Ihr Wert und ihre Bedeutung wurden von dem Physiker Friedrich Wilhelm Kohlrausch (1840-1910), der den Verkauf der Instrumente betrieb, wohl nicht erkannt.
Die Baustäbe tragen Bezeichnungen, die auf die klassischen Säulenordnungen hinweisen. Mit den gravierten Linien und ihren Markierungen dienen sie zur Konstruktion tuskischer, dorischer, ionischer, korinthischer und römischer Säulen mit ihren unterschiedlichen Proportionen. Der Architekt kann mit ihrer Hilfe auf rein zeichnerischem Weg die erforderlichen Maße bestimmen. Für die Zeitgenossen war das ein originelles und nützliches Instrument.
Balthasar Neumann
Einen anderen Weg zur Konstruktion der Säulen ging etwa 50 Jahre später Balthasar Neumann (1687-1753) mit seinem "Instrumentum Architecturae" aus dem Jahr 1713, bei dem es sich um einen Proportionalzirkel handelt. Das Instrument befindet sich im Mainfränkischen Museum und zierte den 50-DM-Schein. Es mag verwundern, was Mathematik mit Architektur zu tun hat. Aber damals gehörte Architekturtheorie noch zu den mathematischen Wissenschaften. Und die Grundideen dieser Instrumente stammen ja auch aus der Geometrie.